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Presseartikel zu Indigo Sol April 2023 |
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Presseartikel veröffentlicht in der Tageszeitung Opinión, 2. April 2023
(https://www.opinion.com.bo/articulo/cultura/consolidan-comedor-popular-ninos-area-rural-quillacollo/20230331223138902352.html).
Eine Gruppe von Mädchen besucht die ländliche Suppenküche in Quillacollo
Die KInder essen im ländlichen Zentrum zu MIttag
Ein Mädchen greift sich einen Nachtisch bei Indigo Sol
Kinder tragen Kisten mit Spielsachen und Büchern, die ihnen zur Förderung des Lesens angeboten werden
Eine Gruppe von Kindern beim Nachmittags- Snack bei der NRO
EINRICHTUNG EINER SUPPENKÜCHE FÜR KINDER IM LÄNDLICHEN QUILLACOLLO
Das Projekt Indigo Sol, das 2022 ins Leben gerufen wurde, bietet Familien und Kindern in der Gemeinde Chojñacollo im Norden dieser Gemeinde eine umfassende Lebensmittelversorgung. Wenn die Schulglocke läutet und der Magen knurrt, haben 25 Kinder aus Chojñacollo in Quillacollo einen Ort, an dem eine warme Mahlzeit auf sie wartet: Índigo Sol. Seit letztem Jahr hat eine Gruppe von Fachkräften dieses soziale Projekt ins Leben gerufen, das gefährdeten Kindern in Quillacollo in Form einer Suppenküche und schulischer Unterstützung direkt zugutekommt. Die Initiative ist Teil der Versuchsphase der Nichtregierungsorganisation (NRO) Indigo Sol, die in diesem Jahr die Rechtspersönlichkeit erhielt, um ihre Arbeit in diesem ländlichen Gebiet der Gemeinde Quillacolleño durchzuführen. Stefania Gurtner Fernández, Mitbegründerin der Organisation, berichtet, dass sie bisher 25 Kinder im Alter zwischen 6 und 11 Jahren betreut. Wie die Sozialreferentin erklärt, werden vorrangig Kinder unterstützt, die von Armut und Gewalt betroffen sind, insbesondere Kinder, die in der nächstgelegenen Schule in direkter Nachbarschaft, eingeschrieben sind.
"Im Moment arbeiten wir nur mit den Familien und der kleinen Schule in der Gegend", sagt sie. "Das Hauptziel ist, die Rechte und das Wohlergehen der Kinder durch gesunde Ernährung zu fördern, einen Beitrag für ihre Entwicklung zu leisten und sie in Bezug auf schulische Gewohnheiten und Pflichten anzuleiten." Das Projekt wird derzeit in einem ehemaligen Kinderheim durchgeführt, das 2021 geschlossen werden musste. Nach Ansicht des Teams von Indigo Sol war dies auf die mangelnde Unterstützung des Jugendamtes (Sedeges, jetzt Sedepos) und der städtischen Ombudsstellen zurückzuführen. Gurtner ist der Meinung, dass die frühere Einrichtung hätte weiterarbeiten können, wenn Vorschläge ausgearbeitet worden wären, um zu verhindern, dass noch mehr Kinder in Heimen untergebracht werden. Die mangelnde Kooperation der Behörden führte jedoch zur Schließung der Einrichtung und zur unvermeidlichen Verlegung der Kinder in andere private Heime oder bestenfalls zu ihrer Wiedereingliederung in die Großfamilie.
Dienstleistungen Die Vertreterin von Indigo Sol fügt hinzu, dass die Einrichtung neben der Verköstigung und dem Bildungsangebot auch kostenlose Rechtsberatung und psychologische Unterstützung anbietet, um den Familienzusammenhalt in Chojñacollo zu stärken Einer Diagnose der NRO zufolge handelt es sich bei den meisten Familien in dieser Region um Einelternfamilien, in denen nur eine Person (ein Elternteil oder ein Vormund) für den Lebensunterhalt der Kinder zuständig ist. Aufgrund des niedrigen Bildungsniveaus haben sowohl die Erwachsenen als auch ihre Kinder generell Probleme den Zugang zu Arbeitsstellen betreffend, die überdies auch ausreichende Einkommensmöglichkeiten bieten müssten. Dennoch gebe es keine anderen Organisationen, die umfassende Unterstützung anbieten. Im zweiten Jahr ihrer Tätigkeit sieht Indigo Sol jedoch einer viel versprechenden Zukunft entgegen, da sie eng mit anderen Institutionen wie einer Sammelstelle für Lebensmittel und Marie Stopes* Bolivia zusammenarbeitet. Gurtner verrät auch, dass zukünftig Programme, die Workshops in den Bereichen Backen, Kochen, Nähen und Schreinern anbieten, geplant sind.
Austausch Als gemeinnützige Einrichtung erreicht Indigo Sol seine Nachhaltigkeit durch das andine System der Gegenseitigkeit. "Die Eltern leisten einen symbolischen Beitrag für Lebensmittel und die Unterstützung durch Reinigungs-, Anbau-, Koch- und andere Arbeiten", sagt Gurtner. Sie verweist auch auf die uneigennützigen Freiwilligen und Fachleute als Eckpfeiler der erzielten Fortschritte. Für Spenden von Lebensmitteln, Schulmaterial oder Küchenutensilien - die sehr willkommen sind - können sich die Bürger unter der Telefonnummer 72227312 melden. * eine Organisation, die sowohl beratend als auch therapeutisch arbeitet, auch im Hinblick auf die Bewusstseinsförderung von sexuellen Verhaltensweisen.
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Liebe Freunde,
es ist bereits ein halbes Jahr vergangen, seit die letzten Mädchen und Jungen die Kinder- und Jugendwohngemeinschaft Tres Soles verlassen haben und in ihre Familien zurückgekehrt oder in anderen Heimen untergebracht worden sind. Unser „Nachbetreuungsteam", bestehend aus einer Sozialarbeiterin, einem Psychologen und einem Rechtsberater, durfte bei seinen regelmäßigen Besuchen feststellen, dass sich alle ohne größere Probleme in ihrem neuen Zuhause eingelebt haben.
Im nächsten Rundbrief werde ich einiges über die Entwicklung der ehemaligen Mädchen und Jungen der Kinder- und Jugendwohngemeinschaft Tres Soles und über weitere interessante Neuigkeiten berichten, die gerade im Entstehen sind. Da jedoch die Auflösung der Kinder- und Jugendwohngemeinschaft das Thema der letzten beiden Berichte war, möchte ich in diesem Rundbrief das Thema wechseln und den Fokus auf unser Studenten- und Lehrlingsheim Luis Espinal richten, das nach wie vor normal funktioniert.
In Luis Espinal leben 20 junge Frauen und Männer, die verschiedenen Berufsausbildungen an der Universität und in Lehrwerkstätten nachgehen. Außer dem Zimmer, das sie zur Verfügung haben, bekommen sie einen finanziellen Zuschuss, um ihre Lebenskosten zu decken, denn nach wie vor ist in Bolivien eine Berufsausbildung sehr kostspielig. Um die Früchte zu zeigen, die diese Arbeit mittlerweile trägt, werde ich diese Rundbriefe vermehrt nutzen, um von einigen besonderen Lebensgeschichten zu berichten.
Heute beginne ich mit Omar Callisaya:
Omar kam zusammen mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Edgar 1994 in die Kinder- und Jugendwohngemeinschaft Tres Soles. Die beiden waren die Jüngsten von sechs Geschwistern, die ein Jahr nach Omars Geburt ihre Mutter verloren hatten. „Wir bekamen eine Stiefmutter", erzählte er. „Der Vater schlug uns ständig und fesselte mich tagelang ans Bett, wenn ich unartig war." Omar war acht, als das Jugendamt eingriff, wirkte aber wie fünf oder sechs Jahre alt und hatte den für Unterernährung sehr typischen vorgewölbten Bauch. Omar war bisher weder in den Kindergarten noch in die Schule gegangen. Mir war von Anfang an aufgefallen, dass er ein ausgesprochen bildhaftes Vorstellungsvermögen hatte, dagegen war abstraktes Denken schwierig für ihn. Während vieler Jahre konnte er nur mithilfe von Steinchen oder Maiskörnern Rechenaufgaben lösen.
Von Anfang an nahm Omar an der Theatergruppe teil. Während er in Tres Soles lebte – und das waren immerhin 17 Jahre! – hat er kein einziges der Theaterstücke, die die projekteigene Theatergruppe Ojo Morado in jenen Jahren produziert hat, ausgelassen. In „Das Fantasieland", das erste Stück, in dem er mitgewirkt hat, spielte er eines der Fantasiewesen, die einen Schuhputzerjungen aus seinem elenden und grauen Leben in der Großstadt in ein buntes Fantasieland entführen. Unvergesslich bleiben mir die Rollen, die er als Neun- beziehungsweise als Elfjähriger im „Kleinen Prinzen" und im „Kinderkreuzzug" gespielt hat. Im Stück „Der kleine Prinz" setzt er sich als Huhn mit Eiern gegen einen Fuchs zur Wehr und verfährt ebenso mit dem ehrwürdigen Publikum im Stadttheater von La Paz, das er stellvertretend für die Gesellschaft mit Eiern bewirft. Im „Kinderkreuzzug" von Brecht befreit er als kleiner Clown die anderen Kinder aus der Gewalt ihrer Eltern, die einen unerbittlichen Krieg gegeneinander führen. Durch den Erfolg, den wir besonders mit diesen beiden letztgenannten Stücken hatten, lernte Omar gemeinsam mit seinen Mitspielern ganz Bolivien, die Nachbarländer Chile und Argentinien und schließlich sogar Deutschland und die Schweiz kennen.
Nach dem Abitur begann er mit einem Stipendium des Studenten- und Lehrlingsheims Luis Espinal eine Schauspielausbildung an der neu gegründeten Theaterfachschule in Santa Cruz. Inzwischen hat er seinen Weg als erfolgreicher Schauspieler gefunden, auch auf internationaler Ebene. Omar Callisaya war 2020 nicht nur auf dem Hamburger Festival in dem Film „Chaco" zu sehen, sondern auch in der Schweiz in dem erfolgreichen Stück „Palmasola". Das in Fachzeitschriften vielbesprochene Stück handelt von einem Gefängnis namens Palmasola in Sta. Cruz, einem „der berüchtigtsten Knäste" der Welt! Wegen der Pandemie musste die Tournee jedoch abgebrochen werden. Anfang des Jahres 2022 konnte sie schließlich in Deutschland fortgesetzt werden.
Barbara und Stefan Heumann, unsere Freunde und Betreiber unserer Internetseite, wohnen in Dachau und haben die Aufführung bei den Kammerspielen in München gesehen. An dieser Stelle möchten wir nicht nur ihnen herzlich für ihren unentwegten Einsatz danken, sondern auch Silvan Greverus, ohne dessen IT-Kenntnisse wir so manches nicht zuwege brächten.
Nachfolgend nun der interessante Bericht des Theaterbesuchs:
„Aufführungsort ist eine große Halle, die mehr oder weniger leer ist. Das Stück beginnt schon im Vorraum, wo wir dichtgedrängt auf den Einlass in das „Gefängnis" warten. Jeder erhält von Omar, dem Polizisten, einen Stempel auf die Hand, den man nicht entfernen darf, da man sonst nicht mehr aus der Halle, dem „Gefängnis", kommt. In der Halle angekommen vermisst man Stühle, um sich setzen zu können. Indem wir in der Halle herumstehen oder -laufen, spielen wir unbewusst die Gefangenen im Knast. Vier Schauspieler (3 Bolivianer bzw. Bolivianerinnen und ein Deutscher) spielen um und zwischen uns herum und zwingen die Gefangenen (Theaterbesucher) hin und her zu laufen, zu sprinten oder sich auch nur zu drehen, um das Geschehen zu verfolgen. Die Stadt im Gefängnis ist in Sektionen eingeteilt. Die spärlichen Bühnenaufbauten der Sektionen sind an verschiedenen Ecken der großen Halle zu finden. Die Brutalität, die die Schauspieler überzeugend zeigen, ist schon sehr bedruckend. Die Akteure sind die brutalen Anführer unterschiedlicher Gangs, die die Gefangenen, also uns Theaterbesucher, permanent drangsalieren und für ein bisschen Freizügigkeit Geld fordern. Ständig sind wir Zuschauer in Bewegung, um immer auf Höhe der Handlung zu sein. Manchmal muss man aufpassen, nicht umgerannt zu werden. Toll gemacht – nur für Wirbelsäulengeschädigte wie mich etwas schmerzhaft. Ich habe aber die 100 Minuten tapfer überstanden. Einige Zuschauer haben sich entlang der Wände, dort wo es Platz gab, auf den Boden gesetzt. Man konnte auch einen angebotenen Klappstuhl mit sich herumtragen, was aber bei der Bewegung des Stückes eher nicht sinnvoll war. Der Beifall war gigantisch. Es war wirklich eine tolle Performance. Die Schauspieler spielten in Spanisch, aber die deutsche Übersetzung wurde an drei Seitenwände projiziert. Nach der Vorstellung konnte man an die Schauspieler, an einen Journalisten (offensichtlich Bolivianer), an den Regisseur und an den Produzenten Fragen richten. Wir waren erstaunt, wie viele Zuschauer davon Gebrauch machten. Gegen 22:30h (Beginn war 19:30h) ging ein tolles Erlebnis zu Ende."
Auch in diesem Rundbrief kann ich nur wieder sagen: Vielen Dank für die moralische und finanzielle Unterstützung, die es uns erlaubt, auch im 33. Jahr seit Gründung weiterzuarbeiten.
Liebe Grüsse aus Bolivien,
Stefan und Guisela |

Liebe Freunde,
wie versprochen, sollt ihr nun Näheres über unsere Arbeit erfahren, unser neues Konzept und weitere wichtige Neuerungen.
Tres Soles:
Aus vielerlei Gründen, u.a. politisch motiviert, (ich habe darüber berichtet) konnte unser Projekt Tres Soles, so wie es konzipiert war, nicht mehr weitergeführt werden und wir mussten deshalb für jedes Kind Ende Jahr 2021 ein neues Zuhause finden. Seitdem werden sie von uns auch weiterhin in finanzieller und pädagogischer Hinsicht betreut; das gilt auch für das kommende Jahr 2023!
Uns war von Anfang an klar, dass nicht alle Bedürfnisse der Kinder in ihrem neuen Zuhause oder nur notdürftig erfüllt werden können. Wir versorgen sie deshalb mit Schulmaterial, Kleidung, Schuhen, im Krankheitsfall usw. entsprechend ihren Bedürfnissen. Für die Teilnahme am virtuellen Unterricht war Voraussetzung, dass die Kinder ein Handy besaßen, was bedeutete, dass wir zwei Kinder mit einem Handy ausstatten mussten. Zum wesentlichen Bestandteil unserer Besuche bei den Kindern gehören der Geburtstagsbesuch einschließlich der traditionellen Tres Soles Geburtstagstorte und der Besuch zu Weihnachten mit einem kleinen Geschenk von uns. Es ist für uns sehr befriedigend zu sehen, dass sich alle Kinder und Jugendlichen in ihrem neuen Zuhause stabilisiert haben und es ihnen gut geht. Die Kinder wurden in fünf verschiedenen Heimen untergebracht: Providencia, Tiquipaya Wasi, Rosa de Sarón, Arco Iris, Cristo Rey und Niños con Valor. Drei Geschwisterpaare leben wieder in ihren Familien.
Das Arco-Iris-Heim bat uns auf Grund unserer langjährigen Erfahrung um einen mehrtägigen Karten-Workshop, in dem die Jugendlichen lernen sollten, wie man Karten herstellt und bemalt. Da sich das Heim Arco Iris in einer besonders schlechten finanziellen Lage befindet, kam es ebenfalls mit der Bitte beziehungsweise Anfrage auf uns zu, ob unser Psychologe Alexej nicht einigen Jugendlichen dort Therapien anbieten könne. Diesen Bitten sind wir natürlich gerne nachgekommen. Leider hat uns auch in diesem Jahr Corona das Leben schwer gemacht, was vor allem für diese Besuche galt. Wir haben versucht, öffentliche Verkehrsmittel zu meiden. Unsere Mitarbeiter Alexei und Christian stellten uns dafür ihre Privatfahrzeuge zur Verfügung, so dass trotz aller Einschränkungen jedes Kind mehrere Male besucht werden konnte.
Wie man sich denken kann, mussten wir auf Grund der Veränderungen unseren Mitarbeiterstab verkleinern und einige Betreuerinnen und Betreuer freistellen, was nie unproblematisch ist. Alle haben jedoch zu unserer großen Erleichterung die angebotenen Sozialleistungen und Abfindungen akzeptiert. Allerdings könnten sie bis zu zwei Jahren nach Freistellung noch Ansprüche beim Arbeitsamt geltend machen, was hohe Kosten verursachen würde. Leider haben wir mit einer Mitarbeiterin schon seit Jahren Probleme und müssen für die Anwaltskosten und eine Abgangsentschädigung jedes Jahr Rückstellungen bilden. Der Fall wird derzeit vor einem Arbeitsgericht verhandelt. Hoffen wir, dass das Verfahren zu unseren Gunsten ausgeht, aber das Justizsystem in Bolivien ist sehr langsam und korrupt, und unangenehme Überraschungen sind nicht auszuschließen.
Luis Espinal:
In den letzten Monaten hat sich das Leben im Studentenwohnheim Luis Espinal allmählich wieder normalisiert. Mehrere Studenten und Lehrlinge sind zum Präsenzunterricht zurückgekehrt, was auch eine Rückkehr in das Wohnheim bedeutete. Insgesamt 22 junge Menschen erhielten ein Stipendium für die Ausbildung und die Verpflegung. Trotz der schwierigen Umstände haben sechs Frauen und Männer ihre Ausbildung in folgenden Berufen abgeschlossen: Wirtschaftsingenieurwesen, Informatik, Finanzingenieurwesen, Betriebswirtschaft, Politikwissenschaften und Biochemie/Pharmazie. Was uns besonders freut, ist der Umstand, dass sich unter ihnen Ruth Fernández befindet, die ein Studium zum Wirtschaftsingenieurwesen gemacht hat. Sie ist eine ehemalige Bewohnerin der Kinder- und Jugendwohngemeinschaft Tres Soles und die jüngere Schwester von Margarita und Omar, die uns 2013 auf unserer Theatertournee begleitet haben. Auch wenn die genannten Berufstitel hochgestochen klingen und in keiner Weise mit nordamerikanischem oder europäischem Niveau zu vergleichen sind, finden wir dies doch eine beachtliche Leistung.
Indigo Sol:
Auf Bitten der Schule Arturo Quitón und der Organisation Indigo Sol wurde ein Programm zur Unterstützung von Kindern, die von der Covid-19-Pandemie betroffen sind, mit täglichem Mittagessen und Nachhilfeunterricht eingerichtet. Zu diesem Zweck steht seit April das leerstehende Haus der ehemaligen Kinder- und Jugendgemeinschaft Tres Soles zur Verfügung. Es gibt jetzt viele “Covid-Waisen” und die von der Pandemie verursachte Wirtschaftskrise hat die finanzielle Grundlage vieler Familien zerstört.
Indigo Sol ist eine Organisation, die kürzlich gegründet wurde. Die Bewilligung der Rechtspersönlichkeit und der Statuten durch die Regionalregierung von Cochabamba steht kurz vor dem Abschluss, der zweijährige Prozess wurde von einer Rechtsberatung begleitet Die Idee ist, Indigo Sol unsere Gebäude zu übergeben, wenn der Vertrag mit dem Aussenministerium 2024 ausläuft, damit sie weiterhin für soziale Aktivitäten genutzt werden können, wie zum Beispiel für das Studenten- und Lehrlingsheim Luis Espinal oder den Mittagstisch und die Aufgabenhilfe für die Corona-Waisen. Mit Hilfe von Indigo Sol konnten wir nicht nur die nötigen Lebensmittel organisieren, sondern auch stundenweise eine Köchin anstellen.
Da es sich bei Indigo Sol um eine rein bolivianische Organisation handelt, ist seitens der staatlichen Behörden alles weit weniger kompliziert und bürokratisch. Im Gegensatz dazu war Tres Soles nach den Statuten eine Schweizer Organisation und wurde deshalb als ausländische Einrichtung von den bolivianischen Behörden seit der Machtübernahme von Evo Morales systematisch diskriminiert und schikaniert.
Abschied von St. Konrad/Neues Spendenkonto:
Wie alle wissen, hätte Tres Soles wohl nie all die Jahrzehnte überstehen können, wenn es nicht die Pfarrei St. Konrad in Mannheim gegeben hätte mit dem Missio/Eine-Welt-Kreis und seiner Vorsitzenden Magda Keller, die sich über Jahrzehnte hinweg unermüdlich für Tres Soles engagiert hat und Hermine Haag, die für die Buchhaltung und Spendenquittungen verantwortlich war. Aus Kirchen rechtlichen Gründen muss nun das Tres Soles Spendenkonto zum 31.12.2022 geschlossenwerden. Allerdings konnten wir ohne bürokratischen Aufwand zu einem bereits bestehenden sehr vertrauenswürdigem Spendenkontowechseln. Es handelt sich um den Bolivienverein Inti Runa (www.intiruna.org), gegründet 1993, dessen Vorsitzender der Fotograf Ludwig März ist. Für uns war es ein Glücksfall, dass wir ihn auf einer Theatertournee 1999 in Deutschland kennengelernt haben, denn seitdem wird Tres Soles von dem Verein jedes Jahr durch seinen Kalenderverkauf großzügig unterstützt. Das noch vorhandene Restgeld auf dem Mannheimer Konto wurde zum Jahresende ebenfalls auf das Konto von Inti Runa überwiesen. An dieser Stelle bitte ich mir nachzusehen, dass ich nicht weiter auf die geleistete Arbeit des Missio-Eine-Welt Kreis in St. Konrad, Mannheim eingehe. Zu gegebener Zeit wird das nachgeholt.
Wir können nur wiederholen, dass ohne eure grosszüge Hilfe, positive Energie und aufmunternden Rückmeldungen unsere lange Arbeit (in diesem Jahr sind es 33 Jahre!) nicht möglich gewesen wäre. Vielen, herzlichen Dank für alles!
Liebe Grüsse aus Bolivien,
Stefan und Guisela
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Liebe Freunde,
wie immer um diese Jahreszeit folgt mein Bericht über das Jahr, das zu Ende geht. Bedingt durch die Pandemie und die erneuten Quarantänen und Halbquarantänen konnte die Arbeit auch dieses Jahr nur unter schwierigsten Umständen durchgeführt werden, wie ihr euch vorstellen könnt. Die Schulen sind bis jetzt immer noch geschlossen. Es gab zwar digitalen Unterricht, der aber nur sehr schlecht funktionierte, weil das Internet instabil ist und viele Menschen nicht die nötigen Geräte hatten. Für unsere Kinder mussten wir die Computer von Tres Soles und Luis Espinal zusammenlegen, Kopfhörer und Mikrofone kaufen und unsere Handys zur Verfügung stellen, damit sie dem Unterricht beiwohnen konnten. Außerdem musste stundenweise ein Assistent eingestellt werden, um den Betrieb der Technik zu gewährleisten. Im April, zwischen der zweiten und dritten Corona-Welle, hatte jemand die geniale Idee, die Schüler gruppenweise in die Schule zu zitieren, um Prüfungen zu schreiben und Hausaufgaben abzuholen.
Prompt hat sich während dieser Gruppenaktivitäten in der Schule eines unserer Kinder mit dem Coronavirus angesteckt. Fünf Kinder und fast das gesamte Personal wurden daraufhin krank, auch meine ganze Familie und ich. Wie durch ein Wunder war unsere Enkelin Lucia die Einzige, die verschont wurde. Die betroffenen Kinder mussten auf Anweisung des Jugendamtes für drei Wochen im Covid-Isolierungszentrum von Quillacollo interniert werden. Guisela erwischte es am Schlimmsten und musste mit Sauerstoff versorgt werden. Schon vor dem Ausbruch der Krankheit hätte ich mich außerdem wegen eines Leistenbruchs operieren lassen sollen, was immer wieder verschoben wurde, bis es wirklich nicht mehr ging und es praktisch notfallmäßig geschehen musste. Aus diesem Grund musste ich mehrere Wochen meiner Arbeit fern bleiben, aber jetzt geht es uns Gott sei Dank allen wieder gut.
Die Aktivitäten in Tres Soles gingen natürlich weiter, wir konnten ja nicht einfach schließen, aber sie wurden auf ein absolutes Minimum reduziert. Die Einhaltung der strengen Schutz- und Hygienemaßnahmen waren sowohl für die Kinder als auch für die Betreuer mühsam. Unsere Kinder haben schon unter normalen Umständen Probleme mit der Körper- und Raumpflege, weshalb ich oft in diesem Zusammenhang von einem „Kleinkrieg“ gesprochen habe, der in einem vernünftigen Ausmaß Sauberkeit und Ordnung zum Ziel hatte. Der eine oder andere von euch mag sich sicherlich daran erinnern. Auch die Einkäufe und das Kochen fanden genau wie 2020 unter erschwerten Umständen statt. Wenn kein Gas vorhanden war, wurde eben im Hof auf dem Feuer gekocht. Zum Glück standen uns erneut unsere Tochter Fanny und unser Schwiegersohn Christian mit ihrem Auto zur Verfügung. Ohne ihre Mithilfe wäre eine Fortsetzung der Arbeit praktisch unmöglich gewesen und das Projekt sowie unsere Arbeit in Tres Soles hätten womöglich ein plötzliches, jähes, aber vor allem ungeplantes Ende gefunden, wobei ich beim nächsten Thema bin.
Im Juli-Rundbrief habe ich bereits ausführlich von unseren Plänen und den bevorstehenden Veränderungen in Tres Soles berichtet. Tatsächlich ist es uns gelungen, für alle Mädchen und Jungen angemessene Bedingungen der Unterbringung zu finden, ob im Heim oder in der Familie. So, wie es aussieht, werden uns also die letzten Kinder zum Jahresende verlassen. Was uns sehr entgegen kommt, sind die Bedingungen, die das Jugendamt an uns stellt. Es muss sichergestellt sein, dass es für mindestens ein Jahr eine soziale und rechtliche Nachbetreuung der Kinder und Jugendlichen geben wird und „dass möglicherweise anfallende materielle oder moralische Bedürfnisse“ dieser Kinder in ihrem neuen Zuhause gedeckt werden. Natürlich ist das reiner Eigennutz, da es ihnen sicherlich in erster Linie um die finanziellen Mittel geht, aber uns gibt es die Möglichkeit die Kinder und Jugendlichen auch weiterhin in ihren Bedürfnissen begleiten zu können, so dass sie sich nicht allein gelassen fühlen müssen.
Überdies müssen anhängige Verfahren, was den Austritt aus dem Register des Jugendamtes, des Arbeitsministeriums, der Altersvorsorge, der Krankenversicherung und der Steuerbehörden betrifft, abgeschlossen werden. Auch wird möglichen Ansprüchen oder Klagen auf Sozialleistungen für die ehemaligen Betreuer nachgegangen werden, da es leider immer wieder Leute gibt, die die Lage ausnutzen und höhere Abgangsentschädigungen und Sozialleistungen einfordern wollen, als ihnen gesetzlich zustehen. Für die Durchführung all dieser genannten Aktivitäten werden weiterhin vier Mitarbeiter, eigentlich Freiwillige, nötig sein: Guisela in der Koordination, eine Sozialarbeiterin, ein Psychologe und ein Rechtsberater. Eine weitere, im Moment zweitrangige Aufgabe wird die Frage der künftigen Nutzung des Hauses sein, das Eigentum von Tres Soles ist.
Nicht alles war jedoch nur Covid und Bürokratie in diesem Jahr. Im September, als die dritte Welle abflaute, konnten wir dank einer Freundin, die jährlich einen zweckgebundenen Betrag spendet, einen zweitägigen Ausflug zu einem See in der Nähe von Cochabamba organisieren. Wir mieteten drei Bungalows exklusiv für uns und waren also sozusagen in einer sicheren „Blase“. Nach so langer Zeit des „Eingesperrtseins“ konnten die Kinder und Jugendlichen endlich wieder einmal etwas Freiheit schnuppern und am Strand herumtoben. Zwar war das Wasser zum Baden zu kalt, aber es gab Boote, die gegen eine geringe Gebühr ausgeliehen werden konnten. Guisela und ich saßen am Abend lange mit den Kindern vor dem Kamin, um ihnen noch einmal in aller Ruhe die Gründe für unser Vorgehen zu erklären, während Fanny und Christian ein leckeres Grillgericht zubereiteten. Wir glauben, dass dieser Ausflug uns allen sehr gut getan hat.
Was das Studenten- und Lehrlingsheim Luis Espinal betrifft, so war das Haus auch dieses Jahr bis auf zwei Auszubildende wenig bewohnt, da alle ihre Ausbildung mittels digitalem Unterricht von zu Hause aus fortgeführt haben. Die Studien- und Verpflegungszuschüsse fielen natürlich dennoch an, ebenso wie die Kosten für das Haus und die Betriebskosten wie Löhne, Büromaterial, Reinigungsmaterial, Reparaturen usw. Wie ich bereits im letzten Rundbrief schrieb, haben wir die Absicht, die Arbeit im Studenten- und Lehrlingsheim, wenn auch unter etwas veränderten Bedingungen, fortzuführen.Die Auszahlung der Stipendien ist mindestens bis 2024 garantiert, aber natürlich benötigen wir auch Mittel zur Deckung anderer Betriebskosten wie Gehälter, Büromaterial, Reinigungsmittel, Reparaturen usw.
In diesem Sinn möchten wir unseren Appell, den wir schon im letzten Rundbrief ausgedrückt haben, wiederholen: Bitte unterstützt uns weiterhin, es gibt noch vieles zu tun, sowohl für die Kinder und Jugendlichen der Kinder- und Jugendwohngemeinschaft Tres Soles als auch im Studenten- und Lehrlingsheim. Was leider durch Covid ein bisschen untergangen ist, ist die Tatsache, dass das Studenten- und Lehrlingsheim dieses Jahr 25 Jahre alt geworden ist. Von 1996 bis 2008 wurde es von dem Jesuitenpater Antonio Sagristá verwaltet, ab 2009 ist es Teil von Tres Soles. Auch wäre es schön, wenn ihr an uns in diesen schwierigen Zeiten denkt, damit wir alles richtig machen und wir diese wichtigen Schritte und Veränderungen ohne größere Probleme hinter uns bringen können. Ohne eure großzöge Hilfe, positive Energie und aufmunternden Rückmeldungen, gerade auch nach dem letzten Rundbrief, wäre unsere Jahrzehnte lange Arbeit (in diesem Jahr sind es 32 Jahre) nicht möglich gewesen. Vielen, herzlichen Dank dafür!
Liebe Grüße aus Bolivien,
Stefan und Guisela
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Liebe Freunde,
in diesem Rundbrief werde ich nicht wie üblich über die Ereignisse in unserem Projekt Tres Soles berichten und das hat seinen Grund. In den letzten zwei Jahren haben sich die Ereignisse bei uns einfach überstürzt. Ich berichte der Reihe nach:
Im Oktober 2017 hatten unsere Mitarbeiterin Sabine Jorkowski und ich einen Termin mit dem Vorstand des Kindermissionswerks in Aachen, das seit bald 20 Jahren alle Spenden für Tres Soles um 20% aufstockt. Auf Nachfragen, wie lange wir das Projekt weiterführen wollen bzw. ob eine Übergabe an einen Nachfolger geplant ist, gaben wir damals zu verstehen, dass Guisela und ich uns einig sind, das Projekt fortzuführen, bis wir eine Einrichtung oder Person gefunden haben, die bereit ist, das Projekt zu übernehmen. Auf Grund der sich laufend verschlechternden Situation rückte dieser Plan jedoch in immer weitere Ferne.
Einer der Hauptgründe ist die politische Situation, die sich mehr und mehr zu unseren Ungunsten entwickelt hat. Ihr wisst, dass der bolivianische Staat unser Projekt nie unterstützt hat, obwohl wir die Arbeit machen, zu der er von Gesetzes wegen verpflichtet wäre; im Gegenteil, man hat uns immer wieder bürokratische Hindernisse in den Weg gelegt. Wir hatten eigentlich gehofft, dass sich dies in der sozialistischen Regierung von Evo Morales (2005-2019) ändern würde, aber leider war dies nicht der Fall. Diese ablehnende Haltung uns gegenüber kann man eigentlich nur damit erklären, dass eine „unabhängige“ Erziehung“, die die Grundvoraussetzung für unsere Arbeit ist, nicht mit dem Programm einer „sozialistischen“ Regierung vereinbar ist. Zweifellos zielt diese darauf ab, die Schülerinnen und Schüler zu indoktrinieren. Der Höhepunkt dieser Entwicklung - und was es so schwer für einen Nachfolger macht - war das neue Gesetz, dass kein Mädchen und kein Junge länger als zwei Jahre in einem Heim verbringen dürfen. Damit wird unser gesamtes Konzept, das auf eine notwendige, langfristige Therapie- und Erziehungsarbeit bis hin zum Schulabschluss und einer Berufsausbildung ausgerichtet ist, in Frage gestellt. Leider haben wir keinen Grund anzunehmen, dass die Haltung der neuen Regierung unter Luis Arce eine andere sein wird.
Ein anderes Problem, weshalb schon manch einer in den letzten Jahren dankend abgelehnt hat, ist die immer unsicherer werdende Finanzierung des Projekts. Wir hatten leider nie eine Finanzierung im herkömmlichen Sinn. Als das Projekt Tres Soles vor über 32 Jahren gegründet wurde, wurde es sporadisch von einzelnen Gruppen und Personen unterstützt. Anfangs waren es Freunde und Ver- wandte, die sich später zum Förderverein Tres Soles zusammenschlossen. Aus Deutschland erhielten wir schon früh Unterstützung durch die Kirchengemeinde St. Konrad in Mannheim. Die finanzielle Lage verbesserte sich deutlich, als sich das Kindermissionswerk in Aachen bereit erklärte, alle Spenden um 20% aufzustocken. Ab diesem Jahr sind es auf Grund der Coronakrise nur noch 10%. Leider haben auch viele unserer langjährigen Spender ein Alter erreicht, in dem es schwerfällt, sich noch zu engagieren, vor allem finanziell oder aber sie weilen schon gar nicht mehr unter uns. Das ist leider eine traurige Tatsache. Neue Spender sind schwer zu gewinnen. Es braucht stets einen persönlichen Bezug. Diesen herzustellen wird aus verschiedenen Gründen immer schwieriger. Vor einigen Jahren schon wurden die regelmäßigen Touristenbesuche des deutschen Reiseveranstalters Aventoura in unserem Projekt wegen der unruhigen, politischen Lage eingestellt. Ebenfalls mussten wir vielfach auf ausländische Freiwillige verzichten, weil die Visabeschaffung immer komplizierter wurde. Uns blieb zu unserem großen Glück jedoch der SDFV des Bistums Mainz, eine anerkannte Entsendeorganisation von „Weltwärts“, einem deutschen Regierungsprogramm. Jahr für Jahr versorgte uns der SDFV mit engagierten Freiwilligen. Letztes Jahr haben wir dann, ebenfalls durch die Coronakrise, auch noch die letzten Freiwilligen dieser Organisation verloren. Die Besucher der Freiwilligen wie beispielsweise ihre Eltern oder Freunde und andere Verwandten wie auch die Freiwilligen selbst wurden nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland oft zu treuen Spendern.
Alternative Lösungen zu den Spenden zu finden, ist sehr schwierig. Seit Anbeginn produzieren wir, wie viele von euch wissen, in den kleinen, projekteigenen Werkstätten Kunsthandwerk (Karten, Umschläge, Schmuckkästchen und Nähprodukte), die vor allem in Europa vertrieben werden. Mit diesen Einkünften können wir aber nur einen sehr geringen Teil des Budgets abdecken. Überdies ist der Zweck dieser Arbeiten, teils therapeutischer Art, teils dient er dazu, Fähigkeiten zu entwickeln, um damit später einmal den Lebensunterhalt verdienen zu können. Hinzukommt, dass uns das Jugendamt schon öfters „Kinderarbeit“ vorgeworfen hat, obwohl die Teilnehmer über 14 sind und nur in ihrer Freizeit einige wenige Stunden pro Woche in diesen Werkstätten mithelfen.
Mit der Verlängerung der Betriebsbewilligung seitens des Jugendamtes, die nächstes Jahr wieder fällig geworden wäre, hätte uns außerdem wieder ein Kleinkrieg bevorgestanden, der in der Vergangenheit oft mehrere Jahre gedauert hat. Welcher willige Nachfolger wollte während eines solchen Prozesses einsteigen? Selbst, wenn er so couragiert wäre sich auf den bürokratischen Marathon einzulassen, würde die Einarbeitungszeit insgesamt wenigstens zwei Jahre dauern, bis die Übernahme vollzogen werden könnte. Letztendlich springt er im letzten Moment noch ab, was wir auch schon erlebt haben oder er passt einfach nicht zu unserem Konzept und wird von den Kindern und Jugendlichen nicht akzeptiert. Aus unserer Erfahrung ist es ein sehr schwieriges Unterfangen und wir haben schon viele Enttäuschungen in der Hinsicht erlebt.
Nach reiflicher Überlegung werden wir daher im nächsten Halbjahr die Wohngemeinschaft Tres Soles mehr und mehr verkleinern, bis sie letztendlich aufgelöst sein wird, bis Ende dieses Jahres oder höchstens Mitte des nächsten Jahres. Für uns heißt das, dass wir in der nächsten Zeit für jedes einzelne Kind eine Lösung werden suchen müssen, wobei es auch sehr auf die Vorgaben des Jugendamtes ankommt, wie lange der Prozess dauern wird. Beim Studenten- und Lehrlingsheim Luis Espinal ändert sich vorerst nichts, da wir es noch einige Jahre weiterführen möchten.
Nun möchte ich noch einige persönliche Gedanken anführen. Ich habe immer betont, zuletzt während der Tournee 2017, dass ich nicht vorhabe, das Projekt noch mit über 60 Jahren (ich bin 1962 geboren) zu leiten, vor allem, wenn sich an den politischen Verhältnissen nichts ändert. Aber auch der Altersunterschied, der immer grösser wird zwischen uns und den Kindern und Jugendlichen, ist ein Grund. Meiner Meinung nach sollte man noch einen gewissen Bezug zur Jugend haben. Weitere Gründe sind der Energieverschleiß und die Abnutzungserscheinungen, die doch enorm sind. Das Konfliktpotenzial, das diese traumatisierten, jungen Menschen mit sich bringen, stellt eine ständige Herausforderung für jeden Erzieher dar und zudem birgt es ein beständiges Risiko für die Aufrechterhaltung des Projekts. Ein Gramm Marihuana, das von der Drogenpolizei in der Wohngemeinschaft gefunden worden wäre oder die geringsten Anzeichen von sexuellem Missbrauch zwischen den Bewohnern, wären den Behörden ein willkommener Anlass gewesen, das Projekt zu schliessen. Guisela und ich haben Jahrzehnte lang unter diesem manchmal fast unerträglichen Druck gearbeitet und ich glaube, es ist mehr als verständlich, dass wir nun etwas ruhiger und entspannter leben möchten, auch um unserer Gesundheit willen.
Leider lässt sich das Problem nicht dadurch lösen, dass jetzt eine gute Seele sagt: „Ich spende das Doppelte“, denn wir sind buchstäblich zugeschnürt von einem Kampf an drei „Fronten“: Bürokratie–Finanzierung–Erziehungsarbeit. Meine Schilderungen mögen schrecklich nüchtern und pragmatisch klingen, doch Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie Guisela und ich uns fühlen, unser Lebensprojekt nach so langer Zeit ununterbrochener Arbeit auf diese Weise auslaufen lassen zu müssen. Was uns am meisten schmerzt, sind die Kinder und Jugendlichen, auch wenn sie teilweise noch nicht lange bei uns sind, zu denen man dennoch eine engere, persönliche Beziehung aufgebaut hat und die wir jetzt im Stich lassen müssen - wenigstens kommt es uns so vor, trotz unserer Bemühungen für jede und jeden einen würdigen Platz zu finden.
Wir haben diese Rundbriefe nie als „Bettelbriefe“ gedacht, sondern sie hatten immer das Ziel, euch stets über unsere Aktivitäten und auch ein bisschen über die politischen und sozialen Verhältnisse zu informieren, aber jetzt muss ich euch bitten, die Spenden nicht einzustellen, da das Studenten- und Lehrlingsheim Luis Espinal fortgesetzt werden soll. Diese Spenden haben in den letzten zehn Jahren mittels eines Stipendiensystems Dutzenden von jungen Menschen ermöglicht, eine Berufsausbildung zu absolvieren und zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft zu werden. Viele von ihnen kamen aus Tres Soles und konnten übergangslos von einem Haus zum anderen wechseln. Es wäre schön, wenn alle ihre Ausbildung abschließen könnten. Dieser Rundbrief ist übrigens kein Abschiedsbrief! Wir werden in Zukunft weiterhin regelmäßig über unsere Arbeit und die Geschehnisse berichten.
Ein großes Dankeschön an euch alle, die ihr uns dieses jahrelange Arbeiten möglich gemacht habt. Ohne euch hätten wir diese 32 Jahre – und hoffentlich noch ein paar mehr- nicht durchhalten können!
Liebe Grüsse aus Bolivien,
Stefan und Guisela
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