Liebe Freunde,
wie immer um diese Jahreszeit folgt mein Bericht über das Jahr, das zu Ende geht. Bedingt durch die Pandemie und die erneuten Quarantänen und Halbquarantänen konnte die Arbeit auch dieses Jahr nur unter schwierigsten Umständen durchgeführt werden, wie ihr euch vorstellen könnt. Die Schulen sind bis jetzt immer noch geschlossen. Es gab zwar digitalen Unterricht, der aber nur sehr schlecht funktionierte, weil das Internet instabil ist und viele Menschen nicht die nötigen Geräte hatten. Für unsere Kinder mussten wir die Computer von Tres Soles und Luis Espinal zusammenlegen, Kopfhörer und Mikrofone kaufen und unsere Handys zur Verfügung stellen, damit sie dem Unterricht beiwohnen konnten. Außerdem musste stundenweise ein Assistent eingestellt werden, um den Betrieb der Technik zu gewährleisten. Im April, zwischen der zweiten und dritten Corona-Welle, hatte jemand die geniale Idee, die Schüler gruppenweise in die Schule zu zitieren, um Prüfungen zu schreiben und Hausaufgaben abzuholen.
Prompt hat sich während dieser Gruppenaktivitäten in der Schule eines unserer Kinder mit dem Coronavirus angesteckt. Fünf Kinder und fast das gesamte Personal wurden daraufhin krank, auch meine ganze Familie und ich. Wie durch ein Wunder war unsere Enkelin Lucia die Einzige, die verschont wurde. Die betroffenen Kinder mussten auf Anweisung des Jugendamtes für drei Wochen im Covid-Isolierungszentrum von Quillacollo interniert werden. Guisela erwischte es am Schlimmsten und musste mit Sauerstoff versorgt werden. Schon vor dem Ausbruch der Krankheit hätte ich mich außerdem wegen eines Leistenbruchs operieren lassen sollen, was immer wieder verschoben wurde, bis es wirklich nicht mehr ging und es praktisch notfallmäßig geschehen musste. Aus diesem Grund musste ich mehrere Wochen meiner Arbeit fern bleiben, aber jetzt geht es uns Gott sei Dank allen wieder gut.
Die Aktivitäten in Tres Soles gingen natürlich weiter, wir konnten ja nicht einfach schließen, aber sie wurden auf ein absolutes Minimum reduziert. Die Einhaltung der strengen Schutz- und Hygienemaßnahmen waren sowohl für die Kinder als auch für die Betreuer mühsam. Unsere Kinder haben schon unter normalen Umständen Probleme mit der Körper- und Raumpflege, weshalb ich oft in diesem Zusammenhang von einem „Kleinkrieg“ gesprochen habe, der in einem vernünftigen Ausmaß Sauberkeit und Ordnung zum Ziel hatte. Der eine oder andere von euch mag sich sicherlich daran erinnern. Auch die Einkäufe und das Kochen fanden genau wie 2020 unter erschwerten Umständen statt. Wenn kein Gas vorhanden war, wurde eben im Hof auf dem Feuer gekocht. Zum Glück standen uns erneut unsere Tochter Fanny und unser Schwiegersohn Christian mit ihrem Auto zur Verfügung. Ohne ihre Mithilfe wäre eine Fortsetzung der Arbeit praktisch unmöglich gewesen und das Projekt sowie unsere Arbeit in Tres Soles hätten womöglich ein plötzliches, jähes, aber vor allem ungeplantes Ende gefunden, wobei ich beim nächsten Thema bin.
Im Juli-Rundbrief habe ich bereits ausführlich von unseren Plänen und den bevorstehenden Veränderungen in Tres Soles berichtet. Tatsächlich ist es uns gelungen, für alle Mädchen und Jungen angemessene Bedingungen der Unterbringung zu finden, ob im Heim oder in der Familie. So, wie es aussieht, werden uns also die letzten Kinder zum Jahresende verlassen. Was uns sehr entgegen kommt, sind die Bedingungen, die das Jugendamt an uns stellt. Es muss sichergestellt sein, dass es für mindestens ein Jahr eine soziale und rechtliche Nachbetreuung der Kinder und Jugendlichen geben wird und „dass möglicherweise anfallende materielle oder moralische Bedürfnisse“ dieser Kinder in ihrem neuen Zuhause gedeckt werden. Natürlich ist das reiner Eigennutz, da es ihnen sicherlich in erster Linie um die finanziellen Mittel geht, aber uns gibt es die Möglichkeit die Kinder und Jugendlichen auch weiterhin in ihren Bedürfnissen begleiten zu können, so dass sie sich nicht allein gelassen fühlen müssen.
Überdies müssen anhängige Verfahren, was den Austritt aus dem Register des Jugendamtes, des Arbeitsministeriums, der Altersvorsorge, der Krankenversicherung und der Steuerbehörden betrifft, abgeschlossen werden. Auch wird möglichen Ansprüchen oder Klagen auf Sozialleistungen für die ehemaligen Betreuer nachgegangen werden, da es leider immer wieder Leute gibt, die die Lage ausnutzen und höhere Abgangsentschädigungen und Sozialleistungen einfordern wollen, als ihnen gesetzlich zustehen. Für die Durchführung all dieser genannten Aktivitäten werden weiterhin vier Mitarbeiter, eigentlich Freiwillige, nötig sein: Guisela in der Koordination, eine Sozialarbeiterin, ein Psychologe und ein Rechtsberater. Eine weitere, im Moment zweitrangige Aufgabe wird die Frage der künftigen Nutzung des Hauses sein, das Eigentum von Tres Soles ist.
Nicht alles war jedoch nur Covid und Bürokratie in diesem Jahr. Im September, als die dritte Welle abflaute, konnten wir dank einer Freundin, die jährlich einen zweckgebundenen Betrag spendet, einen zweitägigen Ausflug zu einem See in der Nähe von Cochabamba organisieren. Wir mieteten drei Bungalows exklusiv für uns und waren also sozusagen in einer sicheren „Blase“. Nach so langer Zeit des „Eingesperrtseins“ konnten die Kinder und Jugendlichen endlich wieder einmal etwas Freiheit schnuppern und am Strand herumtoben. Zwar war das Wasser zum Baden zu kalt, aber es gab Boote, die gegen eine geringe Gebühr ausgeliehen werden konnten. Guisela und ich saßen am Abend lange mit den Kindern vor dem Kamin, um ihnen noch einmal in aller Ruhe die Gründe für unser Vorgehen zu erklären, während Fanny und Christian ein leckeres Grillgericht zubereiteten. Wir glauben, dass dieser Ausflug uns allen sehr gut getan hat.
Was das Studenten- und Lehrlingsheim Luis Espinal betrifft, so war das Haus auch dieses Jahr bis auf zwei Auszubildende wenig bewohnt, da alle ihre Ausbildung mittels digitalem Unterricht von zu Hause aus fortgeführt haben. Die Studien- und Verpflegungszuschüsse fielen natürlich dennoch an, ebenso wie die Kosten für das Haus und die Betriebskosten wie Löhne, Büromaterial, Reinigungsmaterial, Reparaturen usw. Wie ich bereits im letzten Rundbrief schrieb, haben wir die Absicht, die Arbeit im Studenten- und Lehrlingsheim, wenn auch unter etwas veränderten Bedingungen, fortzuführen.Die Auszahlung der Stipendien ist mindestens bis 2024 garantiert, aber natürlich benötigen wir auch Mittel zur Deckung anderer Betriebskosten wie Gehälter, Büromaterial, Reinigungsmittel, Reparaturen usw.
In diesem Sinn möchten wir unseren Appell, den wir schon im letzten Rundbrief ausgedrückt haben, wiederholen: Bitte unterstützt uns weiterhin, es gibt noch vieles zu tun, sowohl für die Kinder und Jugendlichen der Kinder- und Jugendwohngemeinschaft Tres Soles als auch im Studenten- und Lehrlingsheim. Was leider durch Covid ein bisschen untergangen ist, ist die Tatsache, dass das Studenten- und Lehrlingsheim dieses Jahr 25 Jahre alt geworden ist. Von 1996 bis 2008 wurde es von dem Jesuitenpater Antonio Sagristá verwaltet, ab 2009 ist es Teil von Tres Soles. Auch wäre es schön, wenn ihr an uns in diesen schwierigen Zeiten denkt, damit wir alles richtig machen und wir diese wichtigen Schritte und Veränderungen ohne größere Probleme hinter uns bringen können. Ohne eure großzöge Hilfe, positive Energie und aufmunternden Rückmeldungen, gerade auch nach dem letzten Rundbrief, wäre unsere Jahrzehnte lange Arbeit (in diesem Jahr sind es 32 Jahre) nicht möglich gewesen. Vielen, herzlichen Dank dafür!
Liebe Grüße aus Bolivien,
Stefan und Guisela
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